Ein alleinerziehender Vater spielt mit seiner Tochter
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Heiko Maas und Andrea Nahles haben sich von ihren Partnern getrennt. Nun
zählen sie zu den sogenannten Alleinerziehenden. Eine wachsende Gruppe,
für die sich nicht nur die Bezeichnung ändern muss.
Fünf Jahre hat Andrea Nahles
den Spagat zwischen Spitzenamt und Mutterschaft ausgehalten. Fünf Jahre
des Pendelns zwischen Berlin und dem Eifeldorf Weiler, in dem ihr
Ehemann Marcus Frings und ihre Mutter den Alltag mit der kleinen Ella
meisterten. Fünf Jahre Fernbeziehung und Fernmutterschaft. Am Ende hat
es nicht gereicht.
Im
Januar gaben die sozialdemokratische Arbeitsministerin und ihr Ehemann,
ein Kunsthistoriker, ihre Trennung bekannt – und ließen über den Anwalt
Michael Nesselhauf ausrichten: "Beide werden sich weiter gemeinsam um
ihre Tochter kümmern."
Zwei Monate später tritt derselbe Anwalt wieder mit drei dürren Sätzen an die Öffentlichkeit. Diesmal haben sich Heiko Maas (SPD), der Justizminister, und seine Ehefrau Corinna getrennt – "einvernehmlich und in Freundschaft".
Aus
dem gemeinsamen Haus soll er schon ausgezogen sein. Dabei war Corinna
Maas erst 2014 vom Saarland nach Potsdam gezogen, damit die Söhne, neun
und 13, näher beim Vater sind. Und wieder sagt Nesselhauf den Satz,
beide Eltern wollten sich um die Kinder "gemeinsam kümmern".
Die
Kinder: In den meisten Ehen sind sie das größte gemeinsame Projekt –
und in vielen gescheiterten Ehen der letzte gemeinsame Nenner. Meist
wollen Eltern nach der Trennung beide für den Nachwuchs da sein, mehr
oder weniger intensiv. Das gemeinsame Sorgerecht ist seit vielen Jahren
Standard nach einer Trennung. Und doch zwingt die bürokratische Logik
Trennungsfamilien zu einer Entscheidung.
Leistungen richten sich nicht an Alleinerziehende
Derjenige,
bei dem die Kinder überwiegend wohnen, gilt fortan als alleinerziehend.
Der andere kommt in der Statistik irgendwie nicht mehr vor. Aus dem
Ehepaar Maas wird die Alleinerziehende Corinna Maas. Und aus dem Ehepaar
Nahles/Frings möglicherweise der Alleinerziehende Marcus Frings.
Sie
werden das Heer der gut 1,6 Millionen Alleinerziehenden vergrößern, die
das Statistische Bundesamt aus den Daten des letzten Mikrozensus
erhoben hat. In 20 Prozent aller Familien lebten die Kinder inzwischen
mit Mutter oder Vater allein, heißt es dort, das sind sechs
Prozentpunkte mehr als noch vor 20 Jahren.
Doch die Politik hat auf
diese Entwicklung noch keine Antwort gefunden, obwohl es als
unbestritten gilt, dass das Armutsrisiko für Alleinerziehende gewaltig
ist. Noch immer richten sich viele Familienleistungen nur an
Verheiratete. Auch das Unterhaltsrecht gilt mittlerweile als überholt.
Doch allmählich kommt etwas in Bewegung.
Selbst
der Begriff "alleinerziehend" steht mittlerweile in der Kritik, denn so
allein sind viele der 1,6 Millionen – übrigens zu 89 Prozent weiblichen
– "Ein-Eltern-Familien" gar nicht. Werden nicht fürsorgliche Mütter und
Väter einfach begrifflich ausgeblendet?
"Natürlich
wird man mit dem Begriff ,alleinerziehend' vielen Situationen nicht
gerecht, vor allem dann nicht, wenn der Ex-Partner oder etwa die
Großeltern stark in die Erziehung eingebunden sind", sagt Sabine Walper,
Forschungsdirektorin am Deutschen Jugendinstitut (DJI) in München.
In
seiner Studie "Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten" versucht das
DJI, sich der tatsächlichen Lebensrealität der Trennungskinder
anzunähern. "Nach unseren Erhebungen haben etwa 20 Prozent der Kinder
von Alleinerziehenden gar keinen Kontakt zum anderen Elternteil. Knapp
fünf Prozent der Eltern erziehen die Kinder mehr oder weniger
paritätisch gemeinsam. Dazwischen gibt es viele unterschiedliche
Modelle", sagt Walper.
Besser getrennt erziehend oder alleinverantwortlich
Mehr
als die Hälfte aller Trennungskinder habe mindestens einmal pro Woche
Kontakt zum anderen Elternteil. Kann man da wirklich von
"alleinerziehend" sprechen?
Janina
Weser, die den Blog "Perlenmama" betreibt, setzt den Begriff lieber in
Anführungszeichen: "Ich fühle mich nicht ,allein' mit meiner Aufgabe als
Erziehende", schreibt sie, "und daher bevorzugen wir auch den Begriff
,getrennt erziehend'." Der Begriff "alleinerziehend" würde auch "dem
Einsatz und Engagement des Vaters nicht den Respekt zollen, den er
verdient".
Während der Ehe wird man durch das Ehegattensplitting steuerlich gefördert, nach der Trennung muss man zwei Haushalte unterhalten und bekommt keine Unterstützung mehr. Das ist extrem ungerecht
Franziska Brantner
Familienpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion
Väterrechtler wie der Verein "Väteraufbruch für Kinder" fordern schon lange, den Begriff "getrennt erziehend" für Trennungseltern einzuführen, die sich gemeinsam um ihre Kinder kümmern.
Schützenhilfe
bekommen sie vom Verband berufstätiger Mütter. Nur wenn Männer auch
Verantwortung bei Kindererziehung und Pflege und im Haushalt übernähmen,
hätten Frauen und Mütter "eine echte Chance auf Vereinbarkeit von Beruf
und Familie", meint Vorstandschefin Cornelia Spachtholz.
Das
müsse auch gelten, wenn die Eltern kein Paar mehr seien. "Es ist für
alle Seiten förderlich, wenn sich Eltern auch nach einer Trennung
gleichverantwortlich Rechte und Pflichten teilen." Ohne
existenzsicherndes eigenes Einkommen liefen viele Frauen mit wehenden
Fahnen in die Armutsfalle.
"Alleinerziehende
und ihre Kinder haben das höchste Armutsrisiko aller Familienformen",
sagt die Geschäftsführerin des Verbands alleinerziehender Mütter und
Väter, Miriam Hoheisel. Vor allem weil die meisten Familienleistungen
auf verheiratete Paare zugeschnitten seien.
Alleinerziehende
fielen durchs Raster. 38,4 Prozent von ihnen sind auf Hartz IV
angewiesen. Und 75 Prozent aller Trennungskinder erhielten weniger als
den ihnen zustehenden Unterhalt von ihren Vätern.
Familiensplitting statt Ehegattensplitting
"Trennungsfamilien
werden von der Steuer krass benachteiligt. Während der Ehe wird man
durch das Ehegattensplitting steuerlich gefördert, nach der Trennung
muss man plötzlich zwei Haushalte unterhalten und bekommt keine
Unterstützung mehr. Das ist extrem ungerecht", meint Franziska Brantner,
familienpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion.
Die
Grünen sprechen sich schon lange dafür aus, das Ehegattensplitting
durch ein Familiensplitting zu ersetzen. Dahin gehend gebe es jetzt
sogar in der Union Überlegungen, sagt Brantner.
Mit
ihrem ehemaligen Lebensgefährten Boris Palmer, dem grünen
Oberbürgermeister von Tübingen, hat sie ein gemeinsames Kind. "Auch
meine Tochter lebt bei mir, und ich weiß, was das an Verantwortung im
Alltag bedeutet", sagt Brantner. Den Begriff "alleinerziehend" findet
sie trotzdem nicht treffend, schließlich gebe es viele Instanzen, welche
die Kinder miterziehen: "der andere Elternteil, die Großeltern, die
Schule.
Vielleicht
sollten wir besser von 'alleinverantwortlich' sprechen." Den Begriff
"getrennt erziehend" findet Brantner hingegen "ganz fatal": "Er
suggeriert, dass getrennte Eltern auch getrennt voneinander erziehen. Es
sollte aber auch für Trennungseltern die wichtigste Aufgabe sein, sich
gemeinsam ihrer Erziehungsverantwortung zu stellen."
Initiativen
wie der Hamburger Verein "Gemeinsam Erziehende Mütter und Väter" werben
daher dafür, die Betreuung von Trennungskindern möglichst gleichmäßig
unter den Eltern aufzuteilen: im sogenannten "Wechselmodell", für das
sich im vergangenen Herbst auch der Europarat ausgesprochen hat. Ein
Modell, das beiden Eltern Zeit mit ihrem Kind, aber auch Zeit für die
berufliche Karriere ließe.
Ein
Modell aber auch, das teurer ist als die herkömmliche
Besuchspapa-Variante, weil beide Eltern die komplette Infrastruktur
bereitstellen müssen, vom Kinderzimmer bis zum Spielzeug – und im
Zweifel auch Arbeitszeit reduzieren müssen, um die Betreuung
gewährleisten zu können.
Das richtige Betreuungsmodell fürs Kindwohl
Entsprechend
ihrer jeweiligen Finanzkraft müssten dann wohl beide Elternteile für
den Kindesunterhalt aufkommen. Ein heikles Thema vor dem Hintergrund,
dass Frauen noch immer deutlich weniger verdienen als Männer.
Im
Justizministerium von Heiko Maas wird bereits intensiv geprüft, ob das
Unterhaltsrecht "noch die gesellschaftliche Realität abbildet", wie eine
Sprecherin meint. Gegebenenfalls könne es hier einen "gesetzgeberischen
Handlungsbedarf" geben. Das Familienministerium ist ebenfalls nicht
untätig.
Das Haus von Manuela Schwesig (SPD)
hat beim Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation der
Universität Bremen und der Forschungsgruppe PETRA eine Studie in Auftrag
gegeben: Welches Betreuungsmodell entspricht dem Kindeswohl nach einer
Trennung am besten?
Dafür
sollen in den nächsten zwei Jahren 1200 Trennungsfamilien befragt und
familiengerichtliche und jugendamtliche Verfahren analysiert werden.
"Anhand der Ergebnisse wird bewertet, ob und gegebenenfalls welche
gesetzlichen Änderungen erforderlich sind", meint ein Sprecher.
Für
den Bundesparteitag der FDP im April liegt bereits ein vom Hamburger
Landesverband initiierter Antrag vor, das Wechselmodell als vorrangige
Betreuungsvariante gesetzlich zu verankern.
Sabine
Walper vom Deutschen Jugendinstitut rät zur Vorsicht. "Ich bin
skeptisch, ob es zugelassen werden sollte, dass Gerichte dieses Modell
auch gegen den Willen der Eltern anordnen dürfen." Gerade bei einem
konfliktbeladenen Verhältnis der Eltern werde es schwierig: "Dann sind
die Kinder oft Frontgänger."
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