Saturday, 9 April 2016

Der Begriff "alleinerziehend" diskriminiert Männer

Ein alleinerziehender Vater spielt mit seiner Tochter 
Ein alleinerziehender Vater spielt mit seiner Tochter Foto: picture alliance

Heiko Maas und Andrea Nahles haben sich von ihren Partnern getrennt. Nun zählen sie zu den sogenannten Alleinerziehenden. Eine wachsende Gruppe, für die sich nicht nur die Bezeichnung ändern muss.

Fünf Jahre hat Andrea Nahles den Spagat zwischen Spitzenamt und Mutterschaft ausgehalten. Fünf Jahre des Pendelns zwischen Berlin und dem Eifeldorf Weiler, in dem ihr Ehemann Marcus Frings und ihre Mutter den Alltag mit der kleinen Ella meisterten. Fünf Jahre Fernbeziehung und Fernmutterschaft. Am Ende hat es nicht gereicht.
Im Januar gaben die sozialdemokratische Arbeitsministerin und ihr Ehemann, ein Kunsthistoriker, ihre Trennung bekannt – und ließen über den Anwalt Michael Nesselhauf ausrichten: "Beide werden sich weiter gemeinsam um ihre Tochter kümmern."
Zwei Monate später tritt derselbe Anwalt wieder mit drei dürren Sätzen an die Öffentlichkeit. Diesmal haben sich Heiko Maas (SPD), der Justizminister, und seine Ehefrau Corinna getrennt – "einvernehmlich und in Freundschaft".
Aus dem gemeinsamen Haus soll er schon ausgezogen sein. Dabei war Corinna Maas erst 2014 vom Saarland nach Potsdam gezogen, damit die Söhne, neun und 13, näher beim Vater sind. Und wieder sagt Nesselhauf den Satz, beide Eltern wollten sich um die Kinder "gemeinsam kümmern".
Die Kinder: In den meisten Ehen sind sie das größte gemeinsame Projekt – und in vielen gescheiterten Ehen der letzte gemeinsame Nenner. Meist wollen Eltern nach der Trennung beide für den Nachwuchs da sein, mehr oder weniger intensiv. Das gemeinsame Sorgerecht ist seit vielen Jahren Standard nach einer Trennung. Und doch zwingt die bürokratische Logik Trennungsfamilien zu einer Entscheidung.

Leistungen richten sich nicht an Alleinerziehende

Derjenige, bei dem die Kinder überwiegend wohnen, gilt fortan als alleinerziehend. Der andere kommt in der Statistik irgendwie nicht mehr vor. Aus dem Ehepaar Maas wird die Alleinerziehende Corinna Maas. Und aus dem Ehepaar Nahles/Frings möglicherweise der Alleinerziehende Marcus Frings.
Sie werden das Heer der gut 1,6 Millionen Alleinerziehenden vergrößern, die das Statistische Bundesamt aus den Daten des letzten Mikrozensus erhoben hat. In 20 Prozent aller Familien lebten die Kinder inzwischen mit Mutter oder Vater allein, heißt es dort, das sind sechs Prozentpunkte mehr als noch vor 20 Jahren.
Doch die Politik hat auf diese Entwicklung noch keine Antwort gefunden, obwohl es als unbestritten gilt, dass das Armutsrisiko für Alleinerziehende gewaltig ist. Noch immer richten sich viele Familienleistungen nur an Verheiratete. Auch das Unterhaltsrecht gilt mittlerweile als überholt. Doch allmählich kommt etwas in Bewegung.
Selbst der Begriff "alleinerziehend" steht mittlerweile in der Kritik, denn so allein sind viele der 1,6 Millionen – übrigens zu 89 Prozent weiblichen – "Ein-Eltern-Familien" gar nicht. Werden nicht fürsorgliche Mütter und Väter einfach begrifflich ausgeblendet?
"Natürlich wird man mit dem Begriff ,alleinerziehend' vielen Situationen nicht gerecht, vor allem dann nicht, wenn der Ex-Partner oder etwa die Großeltern stark in die Erziehung eingebunden sind", sagt Sabine Walper, Forschungsdirektorin am Deutschen Jugendinstitut (DJI) in München.
In seiner Studie "Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten" versucht das DJI, sich der tatsächlichen Lebensrealität der Trennungskinder anzunähern. "Nach unseren Erhebungen haben etwa 20 Prozent der Kinder von Alleinerziehenden gar keinen Kontakt zum anderen Elternteil. Knapp fünf Prozent der Eltern erziehen die Kinder mehr oder weniger paritätisch gemeinsam. Dazwischen gibt es viele unterschiedliche Modelle", sagt Walper.

Besser getrennt erziehend oder alleinverantwortlich

Mehr als die Hälfte aller Trennungskinder habe mindestens einmal pro Woche Kontakt zum anderen Elternteil. Kann man da wirklich von "alleinerziehend" sprechen?
Janina Weser, die den Blog "Perlenmama" betreibt, setzt den Begriff lieber in Anführungszeichen: "Ich fühle mich nicht ,allein' mit meiner Aufgabe als Erziehende", schreibt sie, "und daher bevorzugen wir auch den Begriff ,getrennt erziehend'." Der Begriff "alleinerziehend" würde auch "dem Einsatz und Engagement des Vaters nicht den Respekt zollen, den er verdient".
Während der Ehe wird man durch das Ehegattensplitting steuerlich gefördert, nach der Trennung muss man zwei Haushalte unterhalten und bekommt keine Unterstützung mehr. Das ist extrem ungerecht
Franziska Brantner
Familienpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion
Väterrechtler wie der Verein "Väteraufbruch für Kinder" fordern schon lange, den Begriff "getrennt erziehend" für Trennungseltern einzuführen, die sich gemeinsam um ihre Kinder kümmern.
Schützenhilfe bekommen sie vom Verband berufstätiger Mütter. Nur wenn Männer auch Verantwortung bei Kindererziehung und Pflege und im Haushalt übernähmen, hätten Frauen und Mütter "eine echte Chance auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie", meint Vorstandschefin Cornelia Spachtholz.
Das müsse auch gelten, wenn die Eltern kein Paar mehr seien. "Es ist für alle Seiten förderlich, wenn sich Eltern auch nach einer Trennung gleichverantwortlich Rechte und Pflichten teilen." Ohne existenzsicherndes eigenes Einkommen liefen viele Frauen mit wehenden Fahnen in die Armutsfalle.
"Alleinerziehende und ihre Kinder haben das höchste Armutsrisiko aller Familienformen", sagt die Geschäftsführerin des Verbands alleinerziehender Mütter und Väter, Miriam Hoheisel. Vor allem weil die meisten Familienleistungen auf verheiratete Paare zugeschnitten seien.
Alleinerziehende fielen durchs Raster. 38,4 Prozent von ihnen sind auf Hartz IV angewiesen. Und 75 Prozent aller Trennungskinder erhielten weniger als den ihnen zustehenden Unterhalt von ihren Vätern.

Familiensplitting statt Ehegattensplitting

"Trennungsfamilien werden von der Steuer krass benachteiligt. Während der Ehe wird man durch das Ehegattensplitting steuerlich gefördert, nach der Trennung muss man plötzlich zwei Haushalte unterhalten und bekommt keine Unterstützung mehr. Das ist extrem ungerecht", meint Franziska Brantner, familienpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion.
Die Grünen sprechen sich schon lange dafür aus, das Ehegattensplitting durch ein Familiensplitting zu ersetzen. Dahin gehend gebe es jetzt sogar in der Union Überlegungen, sagt Brantner.
Mit ihrem ehemaligen Lebensgefährten Boris Palmer, dem grünen Oberbürgermeister von Tübingen, hat sie ein gemeinsames Kind. "Auch meine Tochter lebt bei mir, und ich weiß, was das an Verantwortung im Alltag bedeutet", sagt Brantner. Den Begriff "alleinerziehend" findet sie trotzdem nicht treffend, schließlich gebe es viele Instanzen, welche die Kinder miterziehen: "der andere Elternteil, die Großeltern, die Schule.
Vielleicht sollten wir besser von 'alleinverantwortlich' sprechen." Den Begriff "getrennt erziehend" findet Brantner hingegen "ganz fatal": "Er suggeriert, dass getrennte Eltern auch getrennt voneinander erziehen. Es sollte aber auch für Trennungseltern die wichtigste Aufgabe sein, sich gemeinsam ihrer Erziehungsverantwortung zu stellen."
Initiativen wie der Hamburger Verein "Gemeinsam Erziehende Mütter und Väter" werben daher dafür, die Betreuung von Trennungskindern möglichst gleichmäßig unter den Eltern aufzuteilen: im sogenannten "Wechselmodell", für das sich im vergangenen Herbst auch der Europarat ausgesprochen hat. Ein Modell, das beiden Eltern Zeit mit ihrem Kind, aber auch Zeit für die berufliche Karriere ließe.
Ein Modell aber auch, das teurer ist als die herkömmliche Besuchspapa-Variante, weil beide Eltern die komplette Infrastruktur bereitstellen müssen, vom Kinderzimmer bis zum Spielzeug – und im Zweifel auch Arbeitszeit reduzieren müssen, um die Betreuung gewährleisten zu können.

Das richtige Betreuungsmodell fürs Kindwohl

Entsprechend ihrer jeweiligen Finanzkraft müssten dann wohl beide Elternteile für den Kindesunterhalt aufkommen. Ein heikles Thema vor dem Hintergrund, dass Frauen noch immer deutlich weniger verdienen als Männer.
Im Justizministerium von Heiko Maas wird bereits intensiv geprüft, ob das Unterhaltsrecht "noch die gesellschaftliche Realität abbildet", wie eine Sprecherin meint. Gegebenenfalls könne es hier einen "gesetzgeberischen Handlungsbedarf" geben. Das Familienministerium ist ebenfalls nicht untätig.
Das Haus von Manuela Schwesig (SPD) hat beim Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation der Universität Bremen und der Forschungsgruppe PETRA eine Studie in Auftrag gegeben: Welches Betreuungsmodell entspricht dem Kindeswohl nach einer Trennung am besten?
Dafür sollen in den nächsten zwei Jahren 1200 Trennungsfamilien befragt und familiengerichtliche und jugendamtliche Verfahren analysiert werden. "Anhand der Ergebnisse wird bewertet, ob und gegebenenfalls welche gesetzlichen Änderungen erforderlich sind", meint ein Sprecher.
Für den Bundesparteitag der FDP im April liegt bereits ein vom Hamburger Landesverband initiierter Antrag vor, das Wechselmodell als vorrangige Betreuungsvariante gesetzlich zu verankern.
Sabine Walper vom Deutschen Jugendinstitut rät zur Vorsicht. "Ich bin skeptisch, ob es zugelassen werden sollte, dass Gerichte dieses Modell auch gegen den Willen der Eltern anordnen dürfen." Gerade bei einem konfliktbeladenen Verhältnis der Eltern werde es schwierig: "Dann sind die Kinder oft Frontgänger."
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